Ausgesuchte Kleinodien mit einer Prise Humor
 Prof. Dr. Heijo Klein

D e r  E i c h n e r – 3 0 J a h r e  i n  S a n k t  A u g u s t i n

 

                                                     Stadtbibliothek Sankt Augustin, 6. Mai 2003 und Konrad Adenauer Stiftung

 

 

 MDH.  „Der Eichner 30 Jahre in Sankt Augustin“, das ist ein ungewöhnliches Jubiläum, und meine Vorredner haben die Verbindung des Künstlers mit der Stadt dargestellt. Die Einladung zu diesem Jubiläum verdeutlicht dies mit einem Kranz von 30 Bildern, die wie eine farbige Perlenkette, um das schemenhafte Haus der alten Schule und um den Text zur heutigen Veranstaltung gelegt ist. Doch das Haus ist eingerüstet, im Bau befindlich, und dies betrifft unmittelbar die Situation: den Ausgangspunkt, die Alte Schule in Sankt Augustin - aber die Arbeit des Künstlers geht weiter.

 I.

Hellmuth Eichner hat auf der anderen Seite dieser Einladung seine Ausstellungs-Aktivitäten aufgelistet; und dies sind immerhin mehr als 100 Ausstellungen an verschiedenen Orten. Diese und das umfangreiche Dokumentationsmaterial, das der Künstler in aktuellen Medien veröffentlicht - auf CD-ROM und im Internet - zeigen die Vielseitigkeit seiner Aktivitäten an, und damit etwas Grundsätzliches, was generell den Künstler in unserer Zeit kennzeichnet, will er als freier Künstler bestehen und nicht als Schützling eines Mäzens oder einem der mit dem öffentlichen Kunstbetrieb verflochtenen Galeriegeschäfte.

Eichner hat die unterschiedlichsten Ausstellungsorte und damit auch ein unterschiedliches Publikum angesprochen: Von den Bensberger Kunsttagen zum Kölner Neumarkt der Künstler, Internationaler Kunstmarkt Basel und große Düsseldorfer Kunstausstellung. Politische Institutionen wie OECD und Ministerien, aber auch Rathaus, Buchhandlung und Bank, Galerien – auch spezialisierte wie die für Christliche Kunst in München und die für Erotik in Köln, selbstverständlich auch Museen in Bonn und Aachen, Krakau und Sankt Petersburg, Oxford u.a.

 Die Publizität zu Eichner und seinen Werken, Ausstellungsberichte und Katalogaufsätze sind eine Fülle – faszinierend, wie der Künstler ebenso Publizität provozierte und zugleich anregte. Neben den zahlreichen Presseberichten, die Sie im Internet unter „der eichner.de“ nachlesen können, sind die Fernsehbeiträge über ihn zu nennen: 1966 bereits im „Almanach der Woche“ von WDR III; an späteren nenne ich die „Bildergeschichten“ im ZDF und in 3-SAT, ausserdem die Sendungen in RTL „Kunst und Botschaft“ und "Arbeiter mit Spiesbütt".

II.

Welches sind nun die Bilder, die Anlass gaben zu diesen Berichten – und über die bereits 1985 ein opulentes Buch von Hans G. Tuchel im Bonner Bouvier-Verlag erschien? (Dort sind seine Anfänge wie seine Entwicklung nachvollziehbar.

Seine künstlerische Ausbildung erfuhr Hellmuth Eichner zunächst an den Kölner Werkschulen 1967 – 1970 bei den Professoren Marx und Kadow. Seine Bilder der 60er Jahre sind orientiert an surrealistischen Vorstellungen, die auf den Menschen bezogen, in ihrer hintergründigen Denkart eine Voraussetzung für seine spätere Entwicklung bieten. Die Steigerung erfolgte um 1968 mit den aus der Betonung der Physiognomie hervorgegangenen überdimensionierten Köpfen als emotionale Ausdrucksträger – damals „Schwellköpfe“ genannt. Ein Beispiel von 1971 hier zu Beginn unserer Ausstellung.

Der Rhein-Tiber-Preis Rom 1970 bedeutete als Anerkennung eine wichtige Wegmarke wie auch der andere Teil seines Kunst-Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys und Prof. Sackenheim, dessen Meisterschüler er 1976 wurde. Die Bilder jener Jahre betonen stärker das aktionale Moment, nehmen Stellung auch mit provozierenden Titeln. Denn die Bedeutung des Bildtitels und damit die gedankliche Zielrichtung des Bildes setzt Eichner fortan konsequent ein. Auch dies eine wichtige und typische Eigenart des Künstlers.

Die Alte Schule in Sankt Augustin Mülldorf, die unmittelbare Beschäftigung mit den Bauarbeiten dort und die vorausgehende Überprüfung des Baubestandes im Detail schlug sich nieder in den gemalten großformatigen Bildern von Fachwerk, Steinen und Straßen-Ausschnitten. Im Figürlichen folgte gleichfalls ein stärkerer Bezug auf das realistische Detail – etwa in den Schönlingen Portraits  „Viola“ und „Cornelia“

Die Umzüge nach Bonn 1980 und Wachtberg Villip ließen ihn das Spannungsfeld von realistischer Darstellung und Sozialkritik einerseits, Distanz zum naturalistisch-realistischen verbinden: Collageartige Momente, Klebestreifen, Farbproben am Bildrand, verdeutlichen dies, auch eine stärkere Hinwendung zum Grafischen, zu „Arbeiten auf Papier“.

 Die neueren Arbeiten der 90er Jahre gelten den großformatigen, oft nahezu quadratischen Gemälden mit ausschnitthafter und auch stillebenhafter Pointierung der Thematik. Daneben hat Eichner seit 1995 die Kleinplastik für sich entdeckt, womit er seinen großflächig orchestrierten, farbleuchtenden Gemälden die Kammermusik der auf Nahbetrachtung angelegten Reliefs entgegenstellt.

 III.

Diese intime Kunst Eichners sehen wir nun hier in der Stadtbibliothek ausgestellt: Reliefs und Kleinplastik, die wie ein Buch in kurzer Distanz betrachtet – auch gelesen werden wollen. Denn der Künstler nutzt nun auch den Text, die Schrift als Teil der Darstellung. Über den Titel hinausgehend also literarische Texte, die – in Weiterentwicklung von Eichners Spezifikum der Bildtitel – nun auch Textsorten – etwa Lyrik – in Korrespondenz und Dialog zum Bildwerk treten

Aber bei den Reliefs sind es Zuständlichkeiten: Ruhe, Schlaf und Tod. Die Schlafende – mit dem Stuhl neben ihr als Umraum angedeutet, – ruhend also, - doch auch das Gegenteil sexueller Aktion und Stimulans von Buch und Fernseher. Der schlafende Jüngling – noch halb bekleidet – mit einem Text von Verlaine: „Dein Wesen ist wie eine seltene Gegend“, daneben: der angekleidet schlafende Torero. Doch auch zu „Maria Stuart“: „Mein Herz erstarkt für irdisches Begehren“. „Die Liebenden“ – als Paar auf dem Divan: „Laß, Blumen, Früchte, Zweige, mich an Dir verschwenden“ – so lesen wir.

Die graphischen Blätter – so die „Große Freiheit“ - verweisen auf die großen sozialen Themen, denen sich Eichner stets zugewendet hat: „Sinti und Roma in Sankt Augustin“, „Romantisches Liebesversprechen“. Aber hart und brutal dann: „Die Saubermänner im Viktoriabad“ mit ihren Flinten und die Bonner ‚Immenburgstraße’ mit Schlachthof und dem bekannten Gegenüber. Die Spannweite seiner Arbeiten wird auch deutlich im gegenüber von: „Frauenbad in Pompeji“ und „Bonn nach Abschmelzen der Pole im Jahr 3000.

Schließlich ein Schlüsselbild, die „Große Freiheit“ – der Pflasterstein in seiner Symbolik: steiniger Boden, künstlich behauener Stein, harte Arbeit von Frauen – Stein oder Brot, Kunst und Existenz in der einen oder der Dritten Welt. Dazu geschrieben „große“ als unser künstliches Problem der Rechtschreibreform – und damit kehren wir mit den „Arbeiten auf Papier“ zurück zum Buch, zum Ort hier der Bibliothek.

Mit der Thematik dieser Blätter aber wird auf die Gemälde verwiesen, die wir anschließend in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung betrachten werden.

 Prof. Dr. Heijo Klein, Kunsthistorisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-  Universität Bonn   (Tel. 0228 / 364.001)                                                  Prof. Dr. Heijo Klein

D e r  E i c h n e r :   D i e   g r o ß e n   B i l d e r

 Ausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin, 8. Mai 2002

MDH. Eine ungewöhnliche Doppelausstellung zum Thema „Der Eichner – 30 Jahre in Sankt Augustin“: Nach den auf Nahbetrachtung angelegten Reliefs und Kleinplastiken, die wir soeben in der Stadtbibliothek betrachteten, sehen wir nun hier in der Konrad-Adenauer-Stiftung die großformatigen Bilder. Während dort Stille und meditative Betrachtung angesagt ist, geht es hier um konkrete Botschaften, um Bilder provozierender Thematik.

I.

„Der Eichner“, wie er sich nennt, ist kein Künstler des stillen Ateliers oder des idyllischen Naturempfindens. Der Eichner steht mitten im Leben, bezieht Stellung. Er provoziert mit seinen Bildern, schockiert, regt zur Auseinandersetzung an. Wer aber dies zum Ziel hat, der darf nicht en miniature arbeiten, sondern muß, entsprechend der Medienpraxis unserer Tage das Großformat wählen, das Motiv klar erkennbar und einprägsam darstellen, intensive Farbwirkung, auch Fernwirkung beachten. Zur optischen Eindeutigkeit tritt die inhaltliche Mehrdeutigkeit und die für Eichner charakteristische feste Betitelung der Bilder. Damit gehen Bild und Titel eine spannungsreiche Verbindung ein, eben ganz im Sinne der Botschaft der Medien - man denke an den anderen Bereich der Werbebotschaft

Auf der Einladung zu den heutigen Ausstellungen hat Eichner einen Kranz von 30 seiner Gemälde im farbigen kreisrunden Ausschnitt gewählt. Diese reichen von 1977 bis heute – von der zweifelhaften Dame „Justitia“, von den beiden Damen mit Sektgläsern in den Händen, betitelt „Nie mehr abtrocknen“ 1978, und „Chancengleichheit“ bzw. „Der Morgen verdrängt die Nacht“ mit den jeweiligen Repräsentantinnen.

II.

Aggressiv erscheinen die Bilder von Eichner, und es hat nicht an Protesten gegen sie gefehlt – insbesondere, wenn sie in den Bereich des Sexuellen gehen oder andere Tabus verletzen. So greift „Der Eichner“ Situationen, Probleme seiner und unserer Gesellschaft auf und stellt sie in bestürzender Aktualität und provozierender Härte in Bildern vor, die allein schon von ihrer Größe her, das Wegsehen erschweren: „Der Tod des Wortes Talkshow“ ist ein solches. Kein Fernsehsender ohne dieses abendliche Geschwätz, ein sog. „Talkmaster“ (das Wort spricht für sich!) – zerrt alle möglichen Zeitgenossen vor Mikrophon und Kamera – je exotischer, um so besser, Outings aller Art, besonders beliebt die schrille Szene. Die Sprache wird zerredet, das Wort buchstäblich verbrannt, den Zeitgenossen aus dem Tierreich vorgeworfen, während die Kultur auf der Strecke bleibt, die Violinistin sich allenfalls dienend am kleinen Feuerchen wärmen darf. Auch dies ein Beitrag zu dem allgemein geliebten sog. „erweiterten Kulturbegriff“.

Der Eichner provoziert, mag Gefühle verletzen, aber er ist Moralist, auch wenn seine Bilder wehtun. Das Unmoralische geißelt er mit seinem Bild „Das große Fressen - die Zerreißprobe“ – hier als Kannibalismus gedeutet, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind. Der Mensch wird dabei gnadenlos zerstückelt: der Wilde beißt in die Haut, der Kultivierte nutzt das Essbesteck, die Schönheit greift ins Gehirn und der fernöstliche Guru meditiert über der Schädelkalotte.   „Gretchens Wahl“ gilt der Beliebigkeit der Auswahl: Der aus Literatur wie neuerer Geschichte geläufige Idealtyp des blonden Mädchens, als „halbe Unschuld“, mit der noch kopflosen Puppe in der Hand. Im Regal hinter ihr griffbereit 60 Wechselköpfe: vom Narr bis zum König, vom Lachen zum Totengrinsen, vom Schaf bis zum Schwein. Der geschwänzte Teufel lugt grinsend aus der Hölle hervor.

Mit dem Bild „Heimatlos“ bezieht er sich unmittelbar auf die Situation des Balkankrieges: Der Bosnier hat das brennende Dorf verlassen, eine Granate durchtrennt seine Beine – Bruchteile von Sekunden vor seinem Zusammenbruch.  „Der Künstler – The Artist“ kehrt zurück an die Anfänge, den Bau des Hauses – ein Bildhauer und doch Schreiner im Hauptberuf. Das Bild der Baustelle aber ist es, welches Eichner durch die Jahrzehnte hin stets als Metapher eingesetzt hat.

III.

Doch sollte nicht die andere Seite des Künstlers vergessen werden, die sensiblen, kleinteiligen Landschafts- und Häuserbilder. Sie bilden auch in dieser Ausstellung den Gegenpol zu den figürlichen. Das große Gemälde „Seelenwanderung“ ist beispielhaft für diese Gruppe. Hier ist es die Urlandschaft, in ihrer Weite und Tiefe eigentlich auch endzeitlich als Weltenlandschaft aufgefasst. Dem Menschenwerk steht die Zeitlosigkeit der Natur gegenüber. Aber die Zeit schreitet fort. Die Natur des Anorganischen hingegen ist das Beständige, in Bergschichtungen wie Eisberge aufgetürmt, wie ein endloses Meer, das sich in der Weite verliert.  „Israel bewaldet“ bildet dazu ein Gegenstück – das fruchtbar gemachte Land der Väter – eine Vision wie es sein könnte – aber nicht ist.

Die Kleinteiligkeit dieser Bilder geht mit ihrer mosaikhaften Anlage weiter bis zu dem berühmt-berüchtigten „1000 Rote Rosen“, das auf den Potsdam Aufenthalt des Bildes verweist – man sich dort nicht zum Kauf entschließen konnte und das Bild zurück sandte.  Mosaikhafte Strukturen kennzeichnen in anderer Weise das Bild „Der Urhörer“. Im Steinbruch von Carrara liegt der gewaltige Block, der eben jene Form des Kommunikationsgerätes vorweg zu nehmen scheint, doch stumm bleibt.

Die „Erotischen Figurationen“ in tiefem Blau stehen als Grenzpfosten in dieser Ausstellung, flankieren sie gewissermaßen. Man mag das eine oder andere indezent finden, doch der sonntägliche Fernseher vermochte gestern zur Abendessenszeit durchaus Deutlicheres bei „Mona Lisa“ im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen wahrnehmen – (und einige Stunden später in der ARD die klischeehafte Klage über die Alterspyramide) – als ob da kein Zusammenhang sei.

Stillebenhafte Komposition, mosaikhafte Details verbinden sich aber auch zur imaginären Landschaft. Das Bild „Vollmond auf der Werft Panoukla“ führt von den angeschwemmten und zurückgelassenen Relikten wie über Schienen für ein nie vollendetes Boot in die Unendlichkeit des Ozeans.  Dessen beständig bewegte Wellen zerkleinern den Stein zu Kieseln. Und doch scheint daraus Figürliches auf, das die Zeit überdauert: „Pompeji“. Aus dem Chaos tritt die Büste, und das Gesicht lebendig wie heute.

IV.

Gegenwart und Vergangenheit – wie treffen sie zueinander? Nicht nur Zeit und Gezeiten, sondern selbst der Computer birgt die Zerstörung in sich – jenseits der Alchimie – und nochmals Mephisto: der Walkman und die irreale Scheinwelt des Virtuellen – sie sind zeitlich wie Apoll und Marsyas auf den antiken Reliefs.

Und die Zukunft? Ihr widmet Eichner eine plastische Gruppe: „Unsere Welt im Jahr 5000“. Die Erdkugel mit den Kontinenten, das Chaos der Menschheit darüber – beides dreht sich – und über allem der Kommentator - redend, obgleich am Grab - und zeitlos Neptun, doch umgeben von Toten. Wenig optimistisch erscheint diese Deutung, doch das Schreckliche hier in leuchtenden Farben, nicht als zerbrechliche Keramik – dies ist der Schein – sondern in solider Bronze. Das wiederum erscheint optimistisch. Und es führt zurück auf die Bronzearbeiten, die Reliefs und Kleinplastiken, die in der Stadtbücherei betrachtet wurden.

30 Jahre „Der Eichner“ in St. Augustin. – Neue Arbeiten stellt er vor mit diesem Kranz von Bildern, mit denen er Diskussionen damals wie heute anregt – und niemanden kalt läßt.

Prof. Dr. Heijo Klein, Kunsthistorisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn   (Tel. 0228 / 364.001)                                                          Der Eichner: Bilder zu Texten von Georg Büchner

 

Kurfürstliches Gärtnerhaus Bonn. 15.Juni 2002

MDH. Hier im Kurfürstlichen Gärtnerhaus in Bonn ist dies die dritte Ausstellung in einer Trilogie, die „Der Eichner“ – wie er sich nennt – in der Region zeigt, denn unweit vom Ausstellungsort hat der Künstler viele Jahre gelebt. Wenn wir die beeindruckende Ausstellungsliste anschauen, so finden wir ihn mit mehr als 100 Ausstellungen an verschiedensten Orten, doch immer wieder auch in der Region. Anknüpfend an seinen damaligen Wohnsitz fand die erste Ausstellung dieser Trilogie in Sankt Augustin in der dortigen Stadtbibliothek statt („Der Eichner 30 Jahre in Sankt Augustin“, so der Titel) mit 30 Werken in einer Überschau über sein vielfältiges Schaffen. Die 2. diesjährige Ausstellung - in Verbindung mit der ersten in der Konrad-Adenauer-Stiftung – war gewissermaßen den Ikonen seines Werks gewidmet, den großformatigen Bildern, die ob der für den Eichner charakteristischen schonungslos dargestellten Realitäten wiederum heftige Reaktionen auslöste: drei Bilder wurden nach der Eröffnung aus der Ausstellung entfernt. Dies geschah nicht zum erstenmal, doch darüber wie über die Vielseitigkeit des Künstlers und die Reaktionen in der Presse können Sie sich in ungeahntem Umfang im Internet informieren.

I.

In dieser 3. Ausstellung geht es um einen spezifischen Aspekt seiner Bilder, die er zusammen mit Texten von Georg Büchner ausstellt. Nun sind Bild und Schrift bekanntlich unterschiedliche Medien der Kunst wie der Kommunikation. Bilder werden unmittelbar wahrgenommen, prägen sich ein. Durch Bilder werden Inhalte transportiert, sind als visuelles Gedächtnis präsent und bilden einen abrufbaren Erfahrungsschatz – anders als Schrift, die zwar auch als Typographie oder Kalligraphie gestaltbar ist, jedoch ihr visuelles Repertoire bei unseren Buchstaben auf nur wenige Zeichen beschränkt. Dafür jedoch sind die durch diese Zeichen transportierten Inhalte eindeutiger, präziser als die der Bilder (entsprechend die Dominanz der Schrift den rationalen Wissenschaften. Bilder sind jedoch mehrdeutig, sprechen unterschiedliche Assoziationen an, führen zu mannigfachen Verknüpfungen und unterschiedlichen Interpretationen, obgleich sie als Gemälde etwa fixiert sind. Die imaginären Bilder und Metaphern der durch Schrift vermittelten Dichtung hingegen werden wohl über den fixierten Text transportiert, sind aber variabel und subjektiv.

Dies ist nun die Ebene, auf der Eichner die Korrespondenz von Bild und Schrift sieht: Er stellt seine gemalten Bilder der Schrift, den Texten von Georg Büchner gegenüber. Denn Eichners Bilder keine Illustration. Vielmehr sieht er Parallelen in Bild wie Dichtung, und die Vieldeutigkeit des fixierten Bildes der Kunst steht dem imaginären, subjektiv-variablen Vorstellungsbildern der Dichtung entgegen. Aus dieser Korrespondenz gewinnen beide neue Deutungen, werden wechselseitig erhellt und geben unserer Phantasie Impulse indem sie sich mit neuen Verknüpfungen von Bild und Aussage in das Gedächtnis einprägen.

II.

Besonders eng sind Schrift und Bild verbunden mit dem auf der Einladung abgebildeten „Immerzu“. Die austauschbare puppenhafte Spielfigur des Husaren und der Mensch von Fleisch und Blut, dessen wiederholbare Schemata aus dem handschriftlichen Text auftauchen, die Mechanik des Immer Gleichen.   Der aus Literatur wie neuerer Geschichte geläufige Idealtyp des blonden Mädchens, als „halbe Unschuld“, mit der noch kopflosen Puppe in der Hand. Im Regal hinter ihr griffbereit 60 Wechselköpfe: vom Narr bis zum König, vom Lachen zum Totengrinsen, vom Schaf bis zum Schwein. Der geschwänzte Teufel lugt grinsend aus der Hölle hervor. Und der Text: „Mädel, was fangst du jetzt an? Hast ein klein Kind und kein Mann. Ei was frag ich danach...“

Doch zarter zeigt sich Sehnsucht und Erinnerung des Mädchens an die einstige Liebe, den Mann und den Traum – hinter ihr, an einer Kirche im fernen Georgien. Und kontrastierend dazu das 30 Jahre zuvor entstandene Bild – als Dialog von Leonce und Valerio mit dem großfigurigen Bild der beiden Gestalten mit ihren riesigen Köpfen, nebeneinander stehend, eher den Betrachter ansprechend.

III.

Als Spannung zwischen Bild und Dichtung: Der Wanderer, den „namenlose Angst erfasst",, der verfolgt wird, und der in der Ferne ein Dorf erkennt, das er bei Büchner erreichen mag, oder das – sieht man das Bild genauer – nie erreichen wird. Denn unter dem Titel „Heimatlos“ 1995-2002 bezieht er sich unmittelbar auf die Situation des Balkankrieges: Der Bosnier hat das brennende Dorf verlassen, eine Granate durchtrennt seine Beine – Bruchteile von Sekunden vor seinem Zusammenbruch.

Spannung zwischen beiden Medien auch bei der Schilderung einer Wanderung durch den Schnee, das Stillstehen der „tiefblauen Luft“ und die „einförmigen gewaltigen Flächen und Linien, vor denen es ihm manchmal war, als ob sie ihn mit gewaltigen Tönen anredeten, waren verhüllt“. Eben dieses Blau und die Verhüllung auf dem Bild, aber transponiert in einen anderen Bereich der blauen, wie verpackten, doch schwebenden Kiste.

Der Moralist: Sein Bild der vier zum Mahl sitzenden Schafe (oder Ziegen) – das Motiv hat einst zu heftigen Auseinandersetzungen geführt – und im Test: „wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann wie in einem Zimmer mit Spiegeln den einen uralten unverwüstlichen Schafskopf, nicht mehr und nicht weniger“. Oder: „Das gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält, jeder putzt sich wie er kann und geht auf seine eigene Art auf seinen Spaß darauf ASK...“ Aber dann heißt es: „Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren Köpfen Fleckenkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen.“  Dazu das 1996/02 entstandene Bild „Das große Fressen“, an dem sich alle beteiligen.

Doch wenn Büchner pathetisch sagt: „Für Menschenrecht und Menschen-Freiheit zu sterben, ist höchst erhabner Mut, ist Welterlöser-Tod“, so stellt Eichner dagegen Vollstreckung und Exekution, mag man sich noch so sehr am Glockenseil festhalten. Und wenn im Bild ein Mensch wie auf Stelzen einen gewaltigen Schritt über die kleinen unter ihm tun möchte, so heißt es: „Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen, hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen“.

IV.

Aber eine Konstante ist dann doch die Schönheit: „Nur eins bleibt, eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in die andere tritt, ewig, aufgeblättert, verändert...“. Eichner malt eine pompejanische Büste, die wie aus dem Blau des Meeres auftaucht und doch mit der Physiognomie eines Gesichts wie heute. Und so schließt hieran an dieser Rundgang mit dem ersten Bild der Einladung: „Ich will ein Loch in die Natur machen“ das zusammen gekauerte Mädchen als Teil der Natur und in dieser wie schwebend.

Aggressiv erscheinen die Bilder von Eichner, und es hat nicht an Protesten gegen sie gefehlt – insbesondere, wenn sie in den Bereich des Sexuellen gehen oder andere Tabus verletzen.

So greift „Der Eichner“ Situationen, Probleme seiner und unserer Gesellschaft auf und stellt sie in bestürzender Aktualität und provozierender Härte in Bildern vor, die allein schon von ihrer Größe her, das Wegsehen erschweren: Der Eichner provoziert, mag Gefühle verletzen, aber er ist Moralist, auch wenn seine Bilder wehtun.

Pof. Dr. Heijo Klein, Kunsthistorisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn   (Tel. 0228 / 364.001)                                                         

 KUNST

Mit einer Gemeinschaftsausstellung feiert die Turm-Galerie ihr 35jähriges Bestehen.
Hans-Dietrich Genscher dankt Galerist Bodo Schroeder
 Von Stephanie Gläser

--BERKUM
. "Ausgesuchte Kleinodien mit geschliffener Sprache und ausgeprägter fabulierkunst und Fabulierfreude, bei denen auch Humor ausdrücklich nicht verboten ist". So beschreibt Bodo Schroeder, Inhaber der "Turm-Galerie Alte Schule Berkum", das Programm der WACHTBERG Galerie, die jetzt ihr 35jähriges Bestehen feierte. Bürgermeister Hans-Jürgen Döring, Kunsthistoriker Professor Hejo Klein und sogar Hans-Dietrich Genscher nahmen an der Jubiläumsveranstaltung der ältesten Galerie Bonns teil. Der ehemalige Außenminister sprach Bodo Schroeder in einer Rede seinen Dank für das Schaffen einer wichtigen Kulturinstitution in Bonn aus und erinnerte sich an seine außenpolitischen Erfahrungen mit Kunst und Kultur.
Anlässlich des Jubiläums konnten die zahlreichen Gäste eine besondere Ausstellung besichtigen. Von jedem Künstler, der im Laufe der Jahre die Turm-Galerie mit seinen Werken bereichert hat, wurden verschiedene Bilder gezeigt: Eines stammte jeweils aus der ersten Ausstellung des Künstlers in der Turm-Galerie, dazu gab es aktuelle Arbeiten zum Vergleich. Einige der Künstler wohnten selbst der Feier bei, darunter Herbert Böhler, Annemarie Degenhart; Hellmuth Eichner, Michael Odenwaeller und Angela Räderscheidt. Viele der auf der ganzen Welt verstreuten Künstler konnten auf Grund der weiten Anreise nicht kommen, zum Beispiel Hagen Haltern, Professor in Utah, USA, und Volodymyr Makarenko aus Paris.Lauter große Namen, doch angefangen hat alles ganz klein in Villip. Der junge Bodo Schroeder, Student der Werbe- und Kommunikationswissenschaften, zog dort Ende der 60er Jahre in ein altes Bauernhaus, dessen anliegender Turm ihm als Abstellkammer diente. Wenig später verwandelte Schroeder den Abstellraum in die Galerie "der Turm"".
Zunächst wollte er auf diese Weise nur Untersuchungen für seine Doktorarbeit anstellen und herausfinden, wie sich Farben und Formen von Kunst auf den Rezipienten auswirken. So kam es am 26. Juni 1969 zur ersten Vernissage, bei der Metallskulpturen von Dichtersohn Raimund Böll und Bilder von dessen indischer Freundin Lila Mookerjee ausgestellt wurden. Schroeder hatte geplant, die Käufer von erfolgreicher Kunst nach ihrer Motivation zu befragen. Doch der Verkauf lief trotz guter Presse auch bei den nachfolgenden Ausstellungen nicht gut, und so stand die Turm-Galerie im Winter 1969 vor der Schließung. Doch die erfolgreiche Bonner Malerin Anna Leutz-Hübbe eilte zur Rettung und verhalf Schroeder 1970 zur ersten auch materiell erfolgreichen Ausstellung. Sie und der renommierte Bildhauer Ernemann Sander aus Königswinter stellten der Galerie ihre Werke zur Verfügung und ermöglichten Schroeder damit den Kontakt zu anderen erfolgreichen Künstlern.

Weitere Einnahmen erzielte Schroeder, indem er den Turm für private Feste vermietete. Der wachsende Erfolg lockte nun auch immer mehr prominente Gäste in die Galerie. Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel zum Beispiel eröffnete eine Ausstellung, und auch andere Bundesminister ließen sich nicht zweimal bitten. Durch den Kontakt zum Fernseh-Team von "Bericht aus Bonn", darunter Gerd Ruge und Klaus Altmann, lernte Schroeder in dieser Zeit auch Hans-Dietrich Genscher kennen. Nach 16jährigem Bestehen und stetig wachsendem Erfolg der Turm-Galerie kam es dann zu einer abrupten Wendung: Bodo Schroeder erhielt eine sehr kurzfristige Kündigung vom Vermieter des Bauernhauses und war gezwungen, sich und seiner Kunst eine neue Bleibe zu suchen. Einige gescheiterte Versuche später bekam er die Alte Schule in Berkum angeboten, die er im Mai 1986 als "Turm-Galerie Alte Schule Berkum" eröffnete. 18 Jahre und viele neue Künstler später feierte die Turm-Galerie nun ihren 35. Geburtstag.

 

 Prof. Dr. Heijo Klein   35 Jahre "Turm-Galerie - Wegbegleitungen" 26.6.2004

 

 

Prof.Klein in der Galerie Essig 1996 (zum 50ten Geburtstag)

 
 
Prof.Klein über 25 Jahre Turm Galerie

MDH. Wenn heute im Gespräch oder in den Medien das Wort "Kunst" fällt, dann   denkt man an spektakuläre Dinge des Kunstbetriebs, an Auktionen bei Sotheby's   in New York, wo für x-Millionen Gemälde ersteigert werden, an Museumsbauten   oder Skandalen. Gewiß war die Fettecke ebenso wie die gemalten Kopfstände   brillante Marktideen (natürlich mit entsprechenden interpretativen   Gebrauchsanweisungen der Zunft) und der Präsenz möglichst in allen   renommierten Sammlungen. Aber das ist nur die eine Seite der Kunst, die des   öffentlichen Kunstbetriebs.  Die andere jedoch ist die private, sie betrifft das Leben mit Kunst. Nicht die   gleichen Künstlernamen von Hamburg bis Wien und darüber hinaus, sondern   diejenige Kunst, zu der man ein ganz persönliches Verhältnis hat. Das Bild,   das einen Platz hat in meiner Privatsphäre, in meinem Wohnbereich, das Bild -   oder Bildwerk - das ich täglich sehe, mal auch nur flüchtig wahrnehme, dann   aber mit ihm in einen stillen Dialog trete. Das Bild als Teil meiner privaten   Umwelt - das ist "Leben mit Kunst", und dies ist die andere Seite oder Ebene   gegenüber der öffentlichen. Natürlich gibt es wie immer so auch hier   Zwischenstufen - etwa die einer erweiterten Wahrnehmung, der Sammlung, die   über die unmittelbaren Wohnbereich hinaus geht, die Kunst am Arbeitsplatz usw.  Nun sind wir heute hier, um mit Bodo Schroeder den 35. Geburtstag seiner   Galerie zu feiern - das ist immerhin der Zeitraum einer Generation, und zu den   vielfältigen Geschehnissen, den Personen, den Künstlern haben wir von meinen   Vorrednern gehört. Ich möchte dem noch einige Worte zu den hier ausgestellten   Werken hinzufügen.
  Bodo Schroeder hat in der Einladung mit 35 Bildern die Stationen dieser Jahre   bezeichnet, und er hat dies - wie Sie gesehen haben - in der Abfolge nach
 Jahren chronologisch angeordnet, jeweils bezogen auf die erste Ausstellung des   Künstlers in der Galerie Der Turm. Dieses schöne Dokument haben wir also in   Händen und schauen uns nun die dort abgebildeten Werke an. Auch die   Präsentation hier in der Galerie entspricht diesem Konzept, allerdings um
  viele Arbeiten erweitert und bezogen auf die Räumlichkeiten der Turmgalerie.  So beginnt unser Rundgang gleich an der Tür mit einem Aquarell des
 "Windmühlenturms in Villip", wo Bodo Schroeder mit seiner ungewöhnlichen   Galerie begann. Das weckt Erinnerungen an die ungezwungen-rustikale Atmosphäre   jener Jahre in der jungen Bundeshauptstadt. Herbert Böhler hat diese   Atmosphäre in traditionellen Formen angesprochen, daneben aber seine fast   surreale Tuschzeichnung ("Schmuddelkinder") und seine witzige "Variation zu   Gabrielle d'Estree im Bad". Aparte Farbradierungen von Willi Kismer ("Drei   Seiden", "Rückansicht in drei Tüchern") folgen mit delikater und geradezu   haptischer Auffassung textiler Stofflichkeit. Jo Hackbarth setzt auf dem
 Treppenabsatz einen Haltepunkt mit seiner ebenso kühlen wie poetischen   Auffassung des Stillebens von Gewesenem: "Alte Flaschen" untertreibend
 bezeichnet. Und oben dann die beiden Bonnerinnen Anna Leutz-Hübbe mit ihrer   raffinierten Kombinationstechnik der Siebdruck-Unikate, mit Motiven wie
 "Arles" und "Indischer Drachenbaum" - und die andere bekannte Bonnerin Helene   Moch mit ihren lebhaften Tierbildern "Hahn" und: "Affe im Kölner Zoo" (ein
 Schelm, wer Böses dabei denkt!).  Setzen wir nun unseren Weg fort wieder vom Eingang her, so begegnen hier die   kleinformatigen Arbeiten von Hagen Haltern, die als Digi-Print die mit   Verfahren von Zeichnen, Scannen und Computerbearbeitung neue bildnerische   Möglichkeiten einbeziehen und zugleich in ihrem Braunton an die Klassiker der   Lichtbildnerei, wie Julia Cameron denken ("Mother and Child") oder die Marmor-   Aderungen der "Pietra dura" variieren. Hellmuth Eichner ("Der Eichner") bildet   dann die Nahtstelle zum Garten hin und zugleich den Blickpunkt des Ganges. Für   sein Kombinationsverfahren von seriellem Druck und unikater manueller   malerisch-zeichnerischer Bearbeitung steht das Blatt "Agnes", für seine   großformatigen Gemälde das spannungsreiche Stilleben "Miazina" als   prähistorische Projektion elektrischer Energie in eine nicht betretbare   Vergangenheit. Eine Projektion des Musealen zeigt Angela Räderscheidt mit   ihrer "Museumsinsel", die dies wörtlich nimmt: die Bilder dicht gelagert auf   einem Pfahlbau über dem Wasser, dazu kleine Ölbilder wie "Spiel des Lebens"   oder ironisch. "Heile Welt".  Im Kaminsaal wird der Kamin flankiert von den Bildern Makarenkos und Carmen
 Stahlschmidt. Ihre großformatigen Wachskreidezeichnungen der   Politiker-Porträts ziehen hier gleich die Blicke auf sich und gewinnen durch   ihre Titel amüsante Akzente: "Fünf Kohlmeisen" - die massige Gestalt des   Bundeskanzlers Helmut Kohl, und "Figur auf Frosch": der Landesvater des   benachbarten Bundeslandes von der anderen Partei, Beck. Auf der anderen Seite   des Kamins kommt der beliebte Volodymyr Makarenko mit seiner   phantastisch träumerischen Welt zu Wort: "Justitia et St. George", wobei dieser   ihr das Schwert reicht - in eigentümlicher Verschmelzung von   Ikonen-Ikonographie und surrealer Auffassung, oder die zarte Weiblichkeit mit   "Femme et Arc", der "Venezianerin" und der "Scène Galante".  Ein Gegengewicht bilden die harten Realismen der Ölbilder von Heike Feddern   auf der anderen Seite: das sich freizügig, wenn auch von ihrer Rückseite   zeigende "Rotkäppchen" als spöttische Vulgarisierung des bekannten   Velasquez-Bildes, oder gar der bekrönte "Mops". Doch auch die zartere Sprache   wird vernommen mit den Farbradierungen von Jutta Votteler, so das breite   Querformat ihres "Seerosenteichs", auch dies ein berühmtes Thema variierend   oder der subtile "Mohnbesuch" und die "Träumenden Blüten". Elke Wassmann   erinnert an "Schätze der Kindheit", ein schemenhaftes Haus wie über dem Wasser   mit den Fundstücken der Muscheln.

 Die Plastik, die stets auch ein besonderes Anliegen der Turmgalerie war, wird   hier nun eingeleitet mit Kleinplastiken von Fritz Lindenthal. Sein witziger
 "Flughund" ist wie die lebende Abart der Fledermaus aufgehängt, "Hängeplastik"   also in wörtlichem Sinn. Seine "Aufbrechende Form" bezeichnet den anderen,   eher abstrakten Bereich des Lebendigen. Die große "Liegende" von Tarasow, ein   polierter Betonguß fasziniert durch seine torsohafte, parzellierende   Gestaltung wie auch durch seine Präsentation am Boden.  Die Skulptur wird hier im großen Saal vertreten durch Jörg Engelmann. Seine
  zusammengekauert "Hockende" bildet gewissermaßen ein Gegenstück zu der eben   genannten Liegenden von Tarsow: Engelmanns Skulptur besticht durch die großen   weichen Formen der weiten bogigen Formen, ihrer der Körperlichkeit nahen   Farbgebung und der haptischen Qualitäten der Oberfläche. Seine Kleinplastik   "Geflüster" in dunkelgrünem Diabas entspricht der verbundenen Zweiheit der   Körper wie der abstrahierenden Form.   Einen Übergang zum flächigen Bild stehen die kleinen Metallbilder von Gertrude   Reum als Messing- und Aluminiumreliefs. Die Metallplatte wird geschliffen und   graviert, Farbe partiell aufgesprüht, damit Materialbilder ganz eigener   Wirkung bis hinzu tiefenräumlichen Visionen erzeugt.  Die Stirnwand dieses Raums aber wird wesentlich beherrscht von den   farbleuchtenden Landschaften von Michel Rougié, der zu den jüngsten   Entdeckungen in der Turmgalerie gehört. Seine Bilder stehen in dieser   Jubiläumsausstellung zugleich für das große Thema der Landschaft, und Rougie   sieht sie in ihrer intensiven Farbigkeit, den wie in Schichten sich   aufbauenden Blumenwiesen, den Feldern, Busch- und Waldzonen, die sich wie in   "Premier Saison" oder in "Les Pins Parasol" in weiten Diagonalzügen in die   Ferne erstrecken.  In Nahsicht wendet sich hingegen Dieter Framke der Natur zu: visionäre Bilder   von Pflanzen und Tieren, Blätter, die wie aus dem Nebel auftauchen und aus   denen sich dann ein Vogel oder eine Muschel herausbildet, Zeit und Zeitloses   ansprechend. Renee Lubarow lässt in ihren Farbradierungen Pflanzliches aus   einem Zentrum aufbrechen und dazu die nicht mehr seiende Pflanze im Bild ihres   Abdrucks erhält oder auch als bizarre Lebewesen aus Ruinen auftauchen.  Leonardo Camatta fasst das Vergängliche in seinen "Zyklus der Tuchbilder":   Leinwandstücke, gerissen, ausgeschnitten, wie Reste alter Wandmalerei sind mit   prähistorischen Zeichen versehen, mit Graffiti von Namen und Daten, so "Das   kleine Museum".

  Auf die nähere Vergangenheit bezieht Valentin Reimann seine hart realistischen   Ölbilder: "Vergangene Zeit" - mit den nostalgischen Alltagsgeräten von  Kaffeemühle und Kerzenleuchte bezeichnet, aber auch mit den Möglichkeiten des   Stillebens etwa "Drei Äpfel und Feuerzeug" oder "Apfelschale, Pokal", trotz   nüchterner Darstellung das Raffinement der verzerrten Spiegelung und damit ein   weiterer Aspekt des Bildes der Dinge.   Realismus, Nähe zur Fotografie und Dokumentation zeigt sich auch in den   Arbeiten von Erhard Löblein, etwa im gegenüber der Bilder der Afrikanerin und   der Indonesierin mit dem jeweils auf Gesichtstyp und Haut abgestimmten   Malweise. Die Nähe zur Plastik zeigt sich bei ihm auch in der konstruktiven   Arbeit des durch ihre Arme und Hände miteinander verklammerten Paares wie in   dem lapislazulifarbenen Helm.  Tritt man aus dem Raum, so geht der Blick in den Garten mit den hier präsentierten Skulpturen. Eine unmittelbare Verbindung zwischen drinnen und   draußen bietet Michael Odenwaellers Arbeiten: dort seine drehbare Großplastik,   hier seine gleichfalls drehbare Kleinplastik "Hahn" und "Re" beide aus   Messingplatten, dagegen die Rundplastik "Sphera" ein liegender Akt  stereometrisch aufgefasst, aus Kugeln aufgebaut, das "Paar unter Schirm"   hingegen aus Kegelschnitten und hexagonaler Schale.  Die hier ausgestellten Farbradierungen von Degenhard und May thematisieren das   Elementare: Günter May sieht das Element "Erde" wie durch ein Portal den Blick   auf Erdkrusten, die durch Beben und Blitz voneinander abgesprengt werden. In   "Feuer" aber auch die Verbindung von Elementarem und der Gesetzmässigkeit von   Maß und Zahl, von Physik und Technik. Annemarie Degenhart sieht das Element   des Wassers eher poetisch als "Weiher" mit dem Wachstum der Pflanzen, dem   Schilf und der Ferne. Ihre "Sonnenblumen" jedoch wirken wie von Feuer,   leuchtend über den Abreibungen von Versteinertem.  So bleiben die kleinen Ölbilder von Ognian Zekoff wie als archäologische   Sammlungen von Erinnerungen einzelner Motive, in einem Rahmenwerk festgehalten   als "Chronik". Oder aber von Olaf Gropps Radierungen in humoristischer   Kombination teils bekannter Bildmotive: "Klassisches Fragment", die "Eule aus   Athen", "Lieber die Taube auf dem Dach", aber auch "Der Urschrei" mit dem   röhrenden Hirsch - womit wir wieder zum Nachdenken auf die unbeantwortbare   Frage kommen, wie denn Kunst beschaffen wäre - mit diesem Spektrum der   Möglichkeiten, wie sie in dieser so vielseitigen und anregenden Schau sich   darbieten.
 Es bleibt aber auch die Frage nach den Künstlern, über die ich hier nicht   gesprochen habe, aber von denen mehrere hier unter uns sind und zum Gespräch  bereit. Nicht mehr fragen können wir andere, so Reimund Böll oder Joe   Hackbarth, dessen Ausstellung im Turm ich seinerzeit eröffnen durfte. Hans  Schröers erlebte die Turmgalerie nicht mehr. Der Nachlaß dieses vorzüglichen   Düsseldorfer Expressionisten wird von der Turmgalerie verwaltet. Mit seinem  "Liegenden Akt", den Landschaften, die in ihrer Tonigkeit langsam den   Tiefenraum erschließen, ist dieser Künstler präsent, aber auch im   Selbstporträt auf der Staffelei, von wo aus uns der Künstler kritisch anschaut   - und mit diesem unserem Gegenüber des Künstlerbildes sind wir auch selbst   angesprochen und gefragt.  So bleibt mir, Ihnen, lieber Bodo Schroeder alles Gute für das weitere   Gedeihen Ihrer Galerie zu wünschen. Wir alle danken Ihnen für diese schöne   Jubiläumsausstellung, und Ihnen MDH danke ich fürs Zuhören.